Berichterstattung über die GSoA-Vollversammlung 1997

Weg aus der Verteidigungsfalle! Begrüssung und Einleitung von Nico Lutz, GSoA Bern

Vor zweieinhalb Jahren haben wir an einer GSoA-Vollversammlung zum ersten Mal wieder Initiativprojekte für eine Schweiz ohne Armee und eine solidarische Friedenspolitik auf unsere Traktandenliste gesetzt. Im März 1995 und an vier darauffolgenden Vollversammlungen hat die GSoA mit grosser Mehrheit jeweils die Ausarbeitung der zwei vorliegenden Initiativen unterstützt. Die letzten zweieinhalb Jahre waren eine sehr intensive GSoA-Zeit. Es haben unzählige Diskussionen an Seminaren, in der GSoA-Koordination, in Regionalgruppen und mit befreundeten Organisationen stattgefunden. Das Resultat liegt heute auf dem Tisch: Zwei seriös durchdachte und ausformulierte Initiative, mit denen wir in der Schweiz etwas verändern wollen.

Wir wissen sehr wohl: Man kann das gleiche Tabu nicht zweimal brechen. Es wird diesmal eine andere Diskussion geben. Aber wer glaubt, die erste GSoA-Initiative habe ein für allemal die offizielle Sicherheitspolitik auf die richtige Reformschiene bebracht, der macht es sich sehr einfach. Wir müssen uns heute nach wie vor mit der Armee auseinandersetzen. Nicht mehr mit der heiligen Kuh – sondern mit der real exisiterenden.

Die Armee hat ihren Feind verloren und sucht verzweifelt nach einer neuen Legitimation. Sie versucht uns dabei vorzugaukeln: “Euer Frieden und eure Sicherheit ist unsere Armeeaufgabe” und “Die Armee garantiert Sicherheit in allen Lebenslagen”. “Frieden produzieren und nicht konsumieren” ist der neue Lieblingsslogan von Bundesrat Ogi. Und Frieden machen will er mit der Schweizer Armee. Unsere Antwort auf diese neuen Militärphantasien ist klar: Die Armee ist ein Sicherheitsrisiko. Es gibt eine ganze Reihe von Problemen, mit denen wir uns heute und in Zukunft auseinandersetzen müssen. In der Schweiz und weltweit führen soziale Unterschiede zu Konflikten. Die reale Gleichberechtigung von Frauen, ein zukunftsträchtigerer Umgang mit den ökologischen Ressourcen und ein Ausbruch aus der Isolation sind die Herausforderungen der Zukunft. Die Armee ist aber auf keine dieser brennenden Fragen eine Antwort. Im Gegenteil: Sie ist kein Teil der Lösung, sondern ein Teil des Problems. Sie bindet einerseits dringend notwendige Ressourcen und steht andererseits für ein falsches Konfliktverständnis: Sicherheit durch Kontrolle, mit der Armee haben wir alles im Griff.

Die Armee ist wesentlich dafür verantwortlich, dass wir heute in der Verteidigungsfalle sitzen. Über Jahrzehnte war sie die Verkörperung der schweizerischen Abschottungspolitik: Wir können und wir müssen uns gegen den Rest der Welt autonom verteidigen. Und heute wundern wir uns, wenn für zu viele SchweizerInnen Europa und die Welt an der Schweizer Grenze aufhört. All diese Missverständnisse können wir uns nicht mehr leisten.

Unsere Initiativen sollen ein klares Zeichen dafür sein, dass wir Sicherheit und Frieden nicht an die Militärstrategen delegieren wollen. Wir fordern, dass die Schweiz einen sinnvollen zivilen Beitrag zu einer internationalen Sicherheits- und Friedenspolitik leistet. Die Aussenpolitik der Schweiz darf nicht militarisiert werden, nur weil die Schweizer Armee nicht weiss, was sie sonst tun könnte.

Mit der «Initiative Solidarität schafft Sicherheit: Für einen freiwilligen zivilen Friedensdienst» wollen wir zivile Projekte der gewaltfreien Konfliktbearbeitung fördern und gegen vermeintliche Lösungen argumentieren, die uns die Armeen heute schmackhaft machen wollen. Friede ist das Resultat eines langfristigen gesellschaftlichen Prozesses und kann nicht durch militärische Eingreifftruppen, die weltweit für Gerechtigkeit und Demokratie sorgen, erarbeitet werden.

Mit der «Initiative Sicherheit statt Verteidigung: Für eine Schweiz ohne Armee» wollen wir die Armee dorthin stellen, wo sie hingehört: Zum alten Eisen. Und nicht weiter zuschauen, wie sie versucht, sich einen schlechten Rostschutzanstrich für die nächsten zehn Jahre zu verpassen.

Heute geht es um den Entscheid, ob wir diese beiden Projekte auf den Weg schicken wollen, um in der Schweiz etwas in Bewegung zu bringen. Der Antrag der GSoA-Koordination ist, die Initiativen zu unterstützen und am 17. März 1998 zu lancieren. Legen wir los!

Nico Lutz

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Deux initiatives pour élargir le pensable, introduction de Tobia Schnebli, GSsA Genève

Après plus de deux ans de discussions et de débats nous nous trouvons ici pour prendre une décision importante. Le lancement de deux initiatives populaires n’est pas une mince affaire, mais il y a plusieurs raisons qui devraient nous inciter à poursuivre le projet du GSsA avec ces deux initiatives. Le processus qu’a initié le GSsA au cours des années quatre-vingt, n’a pas seulement brisé le tabou de l’armée intouchable. A travers un large débat de société nous avons aussi et surtout donné une contribution formidable pour diffuser dans les têtes de beaucoup de personnes des idées et des approches radicalement différents des schémas de pensée dominants, selon lesquels, par exemple, les guerres et les armées ont toujours existé et que par conséquent elles existeront toujours. Il est vrai qu’après la votation de 1989 beaucoup de choses ont changé: il est finalement devenu possible de discuter de l’armée en Suisse sans se faire traiter tout de suite de traître de la Patrie et on ne voit vraiment plus où pourrait se trouver un ennemi qui nous menace militairement. Mais les schémas de pensée dominants n’ont pas changé pour autant. La sécurité nationale et internationale reste avant tout l’affaire des militaires. Cela on le voit bien, malgré leur opération massive de marketing qui essaie de vendre l’armée en tant qu’organisation d’aide humanitaire ou de promotion de la paix dans le monde. Même les esprits plus réformateurs dans les grands partis politiques veulent une armée certes un peu plus petite, mais tout aussi efficace et performante et surtout intégrable dans un système militaire comme l’OTAN. Pourtant nous savons que les causes des conflits nécessitent bien autre chose que les solutions qu’apportent les militaires. On le voit bien en Algérie ou en Bosnie. Ce n’est pas en militarisant des sociétés que les conflits disparaissent, bien au contraire.

Si nous parvenons à lancer ces initiatives, nous poserons une option dont devront tenir compte aussi les décideurs et leurs commissions de spécialistes. On les obligera à expliquer à quoi servent tous les milliards de francs et les millions de journées de service qu’on dépense chaque année, alors qu’il y aurait des contributions bien plus utiles et nécessaires à fournir pour faire face aux défis posés en Suisse et dans le monde par les injustices sociales croissantes, le pillage des ressources naturelles ou la globalisation néo-libérale. Si nous renonçons à poser l’option d’une Suisse démilitarisée et solidaire, il n’y aura personne d’autre pour le faire à notre place et le domaine de ce qui est pensable deviendra plus petit, pour tout le monde. Nos propositions, les solutions autres que celles de la logique dominante seront tout simplement ignorées. C’est aussi pour cela que la coordination nationale du GSsA vous propose de soutenir ces deux initiatives et de les lancer le 18 mars 1998.

Tobia Schnebli

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Einleitung zum Initiativprojekt “Solidarität schafft Sicherheit – für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst in der Schweiz” von Roland Brunner, GSoA Zürich

Frieden braucht uns alle!

“Der neue Feind, auf den es sich heute einzustellen gilt, heisst Instabilität. Die hauptsächliche Aufgabe der Sicherheitspolitik ist demzufolge, für Stabilität zu sorgen. Dazu gehören die Implementierung von Demokratie und Menschenrechten, von wirtschaftlicher Prosperität und von sozialer Gerechtigkeit.” Der dies sagt, ist kein Armeeabschaffer, sondern Volker Rühe, seines Zeichens oberster Verteidiger und Armeechef in Deutschland.

Auch wenn Volker Rühe einsieht, dass es heute keine militärischen Bedrohungen mehr gibt, sondern die gesellschaftlichen Risiken zu Instabilitäten führen, ist seine Antwort als Verteidigungsminister logischerweise eine militärische: Er fordert den “Aufbau einer glaubwürdigen europäischen Verteidigungsidentität” und die Schaffung von “intelligenten Streitkräften”.

Es fällt mir schwer, mir intelligente Streitkräfte vorstellen zu können. Gerade weil Bedrohungen und Unsicherheiten in Europa heute keine militärischen sind, ist die Vorstellung, man könne mit bewaffneter Kontrolle Sicherheit schaffen alles andere als intelligent.

Blauhelme oder unter welcher Fahne auch immer bewaffnete Einheiten ins Felde ziehen, können höchstens Waffenstillstandsabkommen überwachen. Und auch hier sind sie genau so lange erfolgreich, als die Armeen der Kriegsparteien den Waffenstillstand einhalten wollen. Wie gross aber die Kluft zwischen einem Waffenstillstand und einem Frieden ist, beweisen uns die Realtitäten von Bosnien-Herzegowina, aber auch von Zypern oder Ruanda jeden Tag.

Wer mit Armeen Sicherheit schaffen will, folgt einer machtgeleiteten Kontroll- und Herrschaftsvision! Sicherheit heisst für Verteidigungsminister militärische Überwachung und Notfall-Intervention. Wir kennen dieses Versagen von der Drogenpolitik: Wer meint, man könne Drogenabhängigkeit mit polizeilicher Repression beantworten, hat Allmachtsphantasien und wird immer mehr Kontrolle und Polizei fordern, ohne je mehr Sicherheit zu erreichen. Wer auf Schweizer Soldaten als zukunftsfähigen Exportartikeln in Sachen Sicherheit setzt, wird auf dem Weltmarkt der Krisen- und Konfliktbearbeitung scheitern. Es fehlt der Welt nicht an Soldaten. Es fehlt an Möglichkeiten und am Willen, mit Konflikten politisch und nicht gewalttätig umzugehen.

Was antworten wir? Was bedeutet für uns Sicherheit? Sicherheit gegen gesellschaftliche Bedrohungen entsteht durch solidarisches Lernen voneinander und Handeln miteinander. Wo Menschen lernen, sich gegenseitig zu vertrauen und sich aufeinander verlassen können, da fühlen wir uns sicher. Sicherheit ist also ein gesellschaftliches Projekt. Sicherheit erfordert Solidarität, solidarisches Handeln, um sich in Situationen von Unsicherheit zu verständigen und zu vergewissern. Sicherheit kann deshalb nicht an den Staat delegiert werden, sondern Sicherheit geht uns selber an.

Dies gilt nicht nur für unsere Sicherheit hier in der Schweiz, sondern auch für unsere Erfahrungen in der internationalen Arbeit: Vor allem in unseren Antikriegsaktivitäten im ehemaligen Jugoslawien haben wir gelernt, dass Frieden ein Prozess ist, ein Projekt, das eine aktive und solidarische Unterstützung der kriegsversehrten Gesellschaften erfordert. Und hier setzt unser Initiativprojekt “Solidarität schafft Sicherheit – für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst” ein. Wir wollen:

  • allen in der Schweiz lebenden Menschen die Chance geben, den Umgang mit Konflikten zu lernen
  • Menschen ermöglichen, ihre Fähigkeiten im In- und Ausland einzusetzen, um so einen solidarischen Beitrag zur Sicherheit zu leisten,
  • der Schweiz selber eine Chance geben, mit einem Zivilen Friedensdienst ein zukunftsfähiges Projekt einer solidarischen Schweiz aufzubauen – im engen Austausch mit vielen ähnlichen Ansätzen, die heute in der ganzen Welt diskutiert werden.

Wir müssen die zivile Politik und die Sicherheitsbedürfnisse aus der militärischen Ecke befreien. Der Zivile Friedensdienst ist für uns die konsequente Weiterführung der antimilitaristischen Erfahrungen mit dem Anspruch, den Staat auf die Interessen der Gesellschaft zurückzubingen, seine militärischen Auswüchse abzuschneiden und Frieden zum gesellschaftlichen Projekt zu machen.

Der Zivile Friedensdienst ist unsere Antwort an alle diejenigen, die uns glauben machen wollen, dass mit Armeen zivile Sicherheit geschaffen werden könne.

Wir sagen: Sicherheit braucht Solidarität, nicht bewaffnete Kontrolle und hochgerüstete Armeen. Frieden und Sicherheit sind zu wichtig, als dass wir sie Politikern und Militärs überlassen können. Frieden und Sicherheit brauchen unser eigenes Engagement und unsere Solidarität. Setzen wir ein Zeichen für eine solidarische Schweiz: Schaffen wir einen Zivilen Friedensdienst.

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Medienmitteilung zu den Lancierungsbeschlüssen

Die Vollversammlung der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) hat am Sonntag, 23. November 1997 in Solothurn die Lancierung zweier neuer Initiativen beschlossen. Die Anwesenden legten den Beginn der Unterschriftensammlung auf den 17. März 1998 fest.

Damit tritt das GSoA-Projekt nach Jahren intensiver Disksussion in eine neue Phase: Im Jubiläumsjahr 1998 sind die Bürger und BürgerInnen der Schweiz herausgefordert, zu einem zentralen Zukunftsthema Stellung zu beziehen. Die beiden materiell voneinander unabhängigen Initiativen hängen inhaltlich zusammen: Gemeinsam sollen sie die Diskussion um die überfällige Neuausrichtung der Schweizer Sicherheitspolitik in eine breite Öffentlichekeit tragen. Die Initiativen fordern eine aktive Friedenspolitik und den Verzicht auf die Landesverteidigungsarmee, die seit 1989 verzweifelt nach einem Feind Ausschau hält. Statt mit militärischer Kooperation soll die Schweiz mit neuen Formen ziviler Solidarität einen sinnvollen Beitrag zur Sicherheit in der Welt leisten.

Der Initiativtexte waren an der Vollversammlung unbestritten: Die Initiative «Solidarität schafft Sicherheit: Für einen freiwilligen Zivilen Friedensdienst (ZFD)» will im In- und Ausland einen Beitrag zum Abbau von Gewaltverhältnissen leisten. Allen Interessierten wird eine Grundausbildung für friedliche Konfliktbearbeitung angeboten. In Zusammenarbeit mit Basisorganisationen entsteht ein Freiwilligendienst für Konfliktprävention, Menschenrechtsarbeit, sozialen Wideraufbau und die Unterstützung lokaler Friedensbemühungen. Diese Friedenseinsätze werden unbewaffnet geleistet. Die VV stimmte diesem Vorschlag mit 69 zu 1 Stimmen ohne Enthaltungen zu.

Die Initiative «Sicherheit statt Verteidigung: für eine Schweiz ohne Armee» will die Armee abschaffen. Die Initiative verlangt zudem, dass über «eine bewaffnete Beteiligung an internationalen Friedensbemühungen ausserhalb der Schweiz» zwingend das Volk entscheiden muss. Die Versammlung unterstützte auch diese Initiative klar mit 68 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung.

GSoA-Vollversammlung

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Eine offene Antwort an Andreas Gross, Adrian Schmid, Martin Bühler und Jürgen Schulz zu ihrem Austritt aus der GSoA

Liebe Freunde

Im Vorfeld der heutigen GSoA-VV haben verschiedene Zeitungen über Euren bevorstehenden, schon vor anderthalb Jahren angekündigten Austritt aus der GSoA berichtet. In diesem Zusammenhang hat Andreas Gross einen Abschiedsbrief an die GSoA erwähnt. Auf unsere Nachfrage hin hat nun auch die GSoA ein Exemplar dieses «Brief zum Abschied von der GSoA» erhalten. Darauf wollen wir antworten.

  • Politische Meinungsbildung ist ein kollektiver Prozess. Die vorliegenden GSoA-Initiativprojekte sind das Resultat eines solchen, intensiven – auch für euch offenstehenden – Diskussionsprozesses. Sie wurden an vielen Treffen besprochen, weiterbearbeitet und mehrmals haben wir darüber abgestimmt. Daran habt Ihr kaum – und in den letzten anderthalb Jahren gar nicht – teilgenommen.
  • Unseren Diskussionsprozess machen wir in Publikationen auch für eine breitere Öffentlichkeit nachvollziehbar. Offenbar macht Ihr von diesem Angebot keinen Gebrauch. So weigert ihr Euch bis auf den heutigen Tag konsequent, die einfache Tatsache wahrzunehmen, dass die GSoA zwei und nicht nur eine Initiativen lancieren will. Und keine der beiden ist einfach eine Neuauflage der ersten GSoA-Initiative. Mit keinem Wort geht Ihr auf unsere intensiven Diskussionen über den veränderten politischen Kontext ein, in dem wir unsere friedenspolitischen Vorschläge situieren. Spurlos scheint an Euch vorüberzugehen, dass die Friedens-, Demokratie- und Menschenrechtsbewegungen weltweit neue Konzepte ziviler Solidarität entwickeln und dass wir in unserem Vorschlag eines freiwilligen Zivilen Friedensdienstes eine Möglichkeit sehen, solche Erfahrungen und Ideen umzusetzen. Es scheint fast, als wolltet Ihr diese neuen Ansätze gar nicht sehen.
  • Wie Ihr schreibt, liegt die Differenz zwischen euch und uns tatsächlich «in der unterschiedlichen Einschätzung der gegenwärtigen politischen Situation und den friedenspolitischen Perspektiven der Schweiz». Aber anders als Andreas Gross gegenüber der NZZ behauptet hat, haben wir unsere Einschätzungen offen und ernsthaft diskutiert. Wir haben verschiedentlich dargelegt, warum wir nicht einfach vertrauen, dass «der Zug, den die GSoA mit ihrer ersten Initiative auf die Schienen gesetzt hat» (Brief) von alleine im richtigen Reformbahnhof einfährt.
  • Dort wo ihr nur die «weltpolitischen Chancen der Veränderung seit 1989» und den weltpolitischen «Rückenwind» seht, braucht es differenziertere Überlegungen. Zweifellos ist das militär- und sicherheitspolitische Denken in der Schweiz und global im Umbruch. Das heisst aber keineswegs, dass sich Militarismus und Armeen von selbst erledigen. Ganz im Gegenteil: Es gibt starke Anzeichen für ein neues globales Interventions- und Kontrolldenken, das militärisch durchgesetzt werden soll und mit dem sich die Armeen dieser Welt relegitimieren wollen.
  • Die in Eurem Brief erwähnten «friedenspolitischen Reformen» beziehungsweise die «drastischen Reformpläne» aus dem EMD passen sich zunehmend in diese Entwicklung ein. Statt der Abschreckung zu dienen soll die Armee nach dem Willen der EMD-Reformer heute plötzlich ein Instrument der «Solidarität» sein. Globale Gewaltstrukturen und Konfliktursachen werden dabei ebenso ausgeblendet wie die Chancen friedlicher Konfliktbearbeitung.
  • Immer mehr Menschen ergeben sich diesem neuen Denken, das zwar im Namen von Humanität, Menschenrecht und Zivilisation daherkommt, aber militärische Machtphantasien verbreitet. Militärische Intervention dort, wo die Politik die Folgen von Ungerechtigkeit, Verelendung und Unterdrückung nicht mehr kontrollieren kann – das ist für viele schon eine ganz normale Vorstellung geworden. Genau dem wollen wir mit unseren Initiativprojekten entgegenwirken. Ausgehend von den Erfahrungen sozialer Basisbewegungen auf der ganzen Welt, wollen wir im öffentlichen Gespräch eine andere, zivile Perspektive von Öffnung und Solidarität entwickeln.
  • Kritik ist uns immer willkommen. Für uns ist es aber schwer verständlich, dass Ihr uns beharrlich etwas vorwerft , das wir gar nicht anstreben. Es geht uns nicht um «die Wiederholung eines Erfolgsrezeptes», wie Ihr uns vorwerft. Wir wollen keineswegs das «Tabu» der Armee ein zweites Mal brechen und schon gar nicht unser eigenes «68» bzw. «89» erleben. Schon vor eineinhalb Jahren habt Ihr vier Unterzeichner des Briefes den aktiven GSoAtInnen derart seltsame Motive unterstellt. Hättet Ihr in der Zwischenzeit unsere inhaltliche Diskussion wenigstens mitverfolgt, wüsstet Ihr, dass diese Phantasien aus der Luft gegriffen sind.

Die grosse Mehrheit der aktiven GSoA-Mitglieder hat mehrmals bestätigt, dass sie die Lancierung von neuen Initiativen sinnvoll und notwendig findet. Dass Ihr diesen Entscheid nicht mittragen wollt, akzeptieren wir als eure persönliche Entscheidung. Wir verstehen aber nicht, warum ihr eine politische Kampagne gegen die GSoA-Projekte führt, ohne dass ihr euch je inhaltlich damit auseinandergesetzt habt. Andi Gross behauptet, die Lancierung neuer GSoA-Initiativen seien “Gift” (Berner Zeitung) und “kontraproduktiv” (NZZ) für die Friedenspolitik. Das ist nicht mit einer Analyse der Entwicklung in der schweizerischen und internationalen Sicherheitspolitik begründbar. Eher steht eine Mythologisierung des eigenen Erfolges von 1989 dahinter.

Die sicherheitspolitische Diskussion befindet sich in der Schweiz und weltweit im Umbruch. Das Weltbild des kalten Krieges ist zusammengebrochen, ein neues ist im entstehen begriffen. Um so wichtiger ist unser Beitrag zu diesem Orientierungsprozess. Wir bedauern es, dass ihr diesen Weg nicht mehr mit uns zusammen gehen wollt. Hoffentlich ziehen wir eines Tages wieder am selben Strick – und dann wieder auf der gleichen Seite.

Mit freundschaftlichen Grüssen

Renate Schoch, Zürich; Hans Hartmann, Zürich; Roland Brunner, Zürich; Nico Lutz, Bern; Tobia Schnebli, Lugano/Genève; Paolo Gilardi, Genève; Astrid Astolfi, Genève; Jörg Sommerhalder, Genève; Luc Gilly, Genève; Danilo Baratti, Davesco-Soragno; Jürg Wiedemann, Birsfelden; Lukas Romer, Basel; Josef Lang, Zug; Marco Tackenberg, Bern; Sandra Küttel, Bern; Martin Krebs, Bern; Catherine Wiedmer, Bern; Reto Gasser, Bern

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Einleitung zum Initiativprojekt “Sicherheit statt Verteidigung – für eine Schweiz ohne Armee” von Josef Lang, GSoA Zug

“Blocher oder Ogi” oder “Hobbes oder Kant”?

Die Friedensbewegung steht vor zwei Alternativ-Angeboten. Das erste im FriZ vertretene lautet: “Der heute relevante Wertekonflikt ist der zwischen der Auns und dem Bundesrat”, präziser der zwischen Blocher und Ogi. Das andere in der GSoA-Zitig vorgestellte lautet: “Der heute relevante Wertekonflikt ist der zwischen Hobbes und Kant”, anders ausgedrückt: der zwischen einem Obrigkeits- und einem Demokratieprinzip.

Das erste Angebot geht davon aus, dass der Bundesrat von der “Geistigen Landesverteidigung” Abschied genommen hat – zugunsten der internationalen Solidarität. Am vorletzten Samstag fand auf dem Morgarten eine Art Gegenveranstaltung zur heutigen Versammlung statt. Was Bundesrat Ogi dort herausgelassen hat, war alter Wein aus alten Schläuchen: nationalistisch-egoistische Nabelschau! Gewiss hätte Ogi vor anderem Publikum neuere Schläuche benützt. Hinter dem militärischen Ausgreifen in die Welt (wie auch ins Zivile) steckt nicht globales Verantwortungsgefühl, sondern militärischer Überlebensdrang. Weil die Schweizer Armee innerhalb der bisherigen funktionalen und nationalen Grenzen keine Arbeit mehr hat, sucht sie sich diese ausserhalb. Eine Arbeitslose will nicht “ausgesteuert” werden!

Die Älteren von euch kennen das Märchen “Des Kaisers neue Kleider”. Zwei Webern gelingt es, den Kaiser, den Hof und das Volk zu überzeugen, dass die teuren, stofflosen “Kleider” eine “kostbare Tracht” sind. Wie gelingt den Webern das werberische Kunststück? Sie trichtern dem Kaiser, dem Hof und dem Volke erfolgreich ein, dass, wer die “neuen Kleider” nicht sieht, hinterwäldlerisch sei. Die ganze Fiktion fällt zusammen, als ein autonomes Kind, das dem eigenen Urteilsvermögen mehr vertraut als der offiziellen Propaganda, in die Menge ruft: “Der Kaiser ist nackt!” Was darauf mit dem Kaiser passierte, ob sie ihm die alten Kleider wieder verpassten oder ob sie die Republik ausriefen, das teilt uns Christian Andersen nicht mit. Die GSoA hat die Chance, ihren Ruf “Die Armee ist nackt!” zu verbinden mit einem konsequenten Vorschlag.

Zum zweiten Angebot: Aufgrund der schrecklichen Konfessionskriege kam Thomas Hobbes zum Schlusse, der “Mensch sei des Menschen Wolf”, die Gesellschaft brauche deshalb einen obrigkeitlichen “Leviathan”, der für Recht und Ordnung, Stabilität und Sicherheit sorgt. Der moderne Namen für “Leviathan” ist Nato, allerdings baute der Hobbessche “Leviathan” auf einem allgemeinen Gesellschaftsvertrag und nicht auf einseitigen Machtinteressen. Immanuel Kant, der Autor des “ewigen Friedens”, vertrat die “weltbürgerliche” Alternative einer globalen Zusammenarbeit im Rahmen einer “Republik freier verbündeter Völker”. Wem der liberale Kant näher steht als der autoritäre Hobbes setzt auf die UNO statt auf die Nato! Auf beides setzen heisst – man betrachte nur die finanziellen Ausgaben – die Marginalisierung und Instrumentalisierung der UNO durch die Nato zu fördern.

Vor genau 150 Jahren stand Europa vor der gleichen Alternative: für Hobbes stand die “Heilige Allianz”, deren Zauberwort “Stabilität von oben” hiess: der Staat kam vor der Gesellschaft, das Militär vor der Politik. Für Kant stand der “Völkerfrühling”, dessen Schlüsselwert “Bewegung von unten” war: der Citoyen hat über dem Soldaten zu stehen. Leider blieb die Schweiz das einzige Land, in dem sich – mindestens für ein paar Jahrzehnte – das republikanisch-demokratische Prinzip gegenüber dem obrigkeitsstaatlich-militaristischen durchzusetzen vermochte.

1998 ist ein gutes Datum für die Lancierung von Initiativen, welche zeigen, was Republik bedeutet.

  • Republik bedeutet Volkssouveränität: die Bürgerinnen und Bürger sollen auch in militärischen Fragen das erste und das letzte Wort haben.
  • Republik bedeutet Primat der Politik: Die Welt ist primär eine Aufgabe für Weltbürgerinnen und -bürger und nicht für “universal soldiers”.
  • Republik bedeutet Offenheit und Solidarität zwecks Integration und Ermächtigung der Schwachen: Wer demokratisch ernst genommen wird und sozial abgesichert ist, wird kein Terrorist.
  • Republik bedeutet weiter Öffentlichkeitsprinzip: im Unterschied zu Expertenkommissionen sind die Diskussionen und Beschlüsse in der GSoA allen jederzeit zugänglich.
  • Republik bedeutet nicht zuletzt: “alle sind gleich!” Allerdings schliesst im Unterschied zu andern Gleichheitsvorstellungen die republikanische die Relativierung “aber einige sind gleicher als die andern” aus.

1998 ist ein denkbar schlechtes Datum, um die Armee zu feiern. Erstens ist sie im Unterschied zur Verfassung nicht ein Kind von 1848, sondern von 1815, also der Restauration. Der Bundesrat selber hat das in seiner GSoA-Botschaft vom Mai1988 betont. Zweitens gibt es keine Institution, die derart stark mit der Geistigen Landesverteidigung, der ideologischen Negation von1848, verbunden ist. Genau von dieser Geistigen Landesverteidigung muss sich die Schweiz emanzipieren, wenn sie eine solidrische und weltoffene Zukunft haben will.

Ich komme zum Schluss: Damit in der Schweiz und in der Welt die “ächtrepublikanischen” Werte, wie es vor 150 Jahren hiess, gegenüber den obrigkeitlich-militaristischen gestärkt werden, braucht es überall kleinere und grössere autonome Republiken wie die GSoA und ihre Initiativen.

Josef Lang, Zug

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Empècher qu’un monstre ne naisse des cendres de la vache. Introduction de Paolo Gilardi, GSsA – Genève

Chères amies, chers amis,

il y a tout juste une année, lors de notre assemblée générale de novembre 96, notre ami Adrian Schmid nous disait “seit 89, hat das EMD gelernt”. Il nous le répétait il y a quelques jours seulement en ajoutant qu’en 1989 le tabou avait été brisé, la vache sacrée immolée.

Adrian est parmi nous aujourd’hui ; ses amis ont choisi de ne pas l’ètre. J’ai pourtant envie de leur répondre “genau, das EMD hat gelernt”, oui, le Département militaire fédéral a compris, oui, la vache sacrée a été immolée.

Oui, le tabou de l’armée suisse telle qu’elle existait encore en 1989 est tombé. Plus personne aujourd’hui, ne pourrait prendre la défense de cette armée. De cette armée qui avec plus de 600’000 hommes nous plaçait, nous les helvètes, parmi les peuples les plus armés du monde.

Plus personne, à part peut-ètre le vieillissant Monsieur Chevallaz, ne peut sérieusement prétendre aujourd’hui que c’est elle qui sauva nos parents de la terreur nazie. Et plus personne non plus ne miserait quatre sous sur la capacité de cette armée de garantir la paix et la sécurité.

Personne, mème pas Monsieur Ogi, n’oserait prétendre aujourd’hui que “la Suisse n’a pas d’armée, la Suisse est une armée”.

Oui Adrian, je suis d’accord avec toi, le DMF et avec lui tout le gouvernement, ont compris, à travers de multiples convulsions, les conclusions qui étaient les notres bien avant 1989. Oui, ce que nous avons fait alors a été grand. Grand mais pas suffisant. Pas suffisant parce que, après avoir détruit le mythe, nous ne l’avons pas encore remplacé par une autre politique.

Malheureusement, après notre défaite de juin 1993, ce que nous avions fait de grand est devenu le socle sur lequel le DMF a pu construire celle qui se dessine comme la nouvelle armée. Oui, le DMF aussi, a su faire sa révolution culturelle. Cependant, celle qu’il a fait n’est pas celle que nous voulions. Ainsi, deux ans peine après l’entrée en vigueur d’Armée 95, c’est une petite armée fortement professionnalisée qu’on est en train de nous préparer. C’est une armée qui pourra participer un jour à de vraies opérations de guerre. Sous le couvert de l’humanitaire, c’est une pièce du dispositif international de contrôle du monde que nous préparent les commissions qui travaillent à la prochaine réforme de l’armée. Et, ainsi, au nom de la “solidarité”, peut-ètre mème de la “charité”, c’est le légionnaire remplacera l’inutile fusilier de montagne que nous avons combattu jadis.

Certes, cette nouvelle armée n’est pas encore achevée. Pourtant, les temps s’accélèrent. Et elle dispose, aujourd’hui déjà, d’une bonne partie de l’arsenal nécessaire, matériel, idéologique et institutionnel. Avec les avions de combat achetés malgré nous elle dispose déjà des outils pour participer à des opérations de guerre en dehors des frontières. Elle le pourra d’autant plus que, mème les militaires les plus orthodoxes renoncent désormais à l’idée qui fut leur raison d’exister, la neutralité.

Elle le peut déjà aujourd’hui puisque la Suisse est désormais membre associé de la seule Alliance militaire existante, l’OTAN, par le biais du prétendu “partenariat pour la paix”. Enfin, le DMF ne veut plus de l’armée de milice comme école de la nation. Il n’en a plus besoin, puisque avec l’inscription dans la loi des nouvelles tâches de police de l’armée, c’est à un petit corps de soldats semi-professionnel qu’il confie la politique d’asile, le maintien de l’ordre public et la répression de toute contestation, bref, le contrôle de la population.

Chères amies, chers amis, c’est pour empècher que des cendres de la vache immolée en 1989 naisse un monstre bien plus dangereux qu’aujourd’hui nous n’avons pas le choix : nos initiatives doivent ètre lancées. Parce que le choix n’est pas entre une Suisse repliée sur elle mème, celle de M. Blocher et une autre ouverte au monde extérieur qui serait celle de M. Ogi: il est entre la participation à des actions de guerre et un avenir démilitarisé. C’est pour celui-ci qu’il y a quinze ans nous avons fondé le GSsA, c’est pour lui que nous continuons d’agir.

Finalement, c’est l’ampleur de dette tâche qui compte face aux petites polémiques de ceux qui prétendent que l’on empèche par notre initiative l’exécution des missions de paix dans les situations de guerre. Ces prétendues missions de paix, dont on pourra continuer à discuter aussi après l’acceptation de l’initiative ne peuvent en aucun cas servir de prétexte pour le maintien d’une machine de guerre qui n’a rien à voir ni avec la solidarité et encore moins avec la paix.

Paolo Gilardi, GSsA Genève

Groupe pour une Suisse sans Armée (GSsA) Email: gssa@iprolink.ch

CP 151 – 1211 Genève 8. CCP 12-11508-2. https://gsoa.ch/gssa

Tel: 41 (0)22 320 46 76 Fax: 41 (0)22 320 45 67

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Zeitungsartikel zum Lancierungsbeschluss der GSoA:

  • Armeeabschaffung – zum zweiten. NZZ vom 19.11.97, S. 13
  • Gross verlässt die GSoA, BernerZeitung vom 20.11.97
  • Per Güterwagen ins 21. Jahrhundert. Schweizer Sicherheitspolitik in Zeiten der militärischen Globalisierung, von Hans Hartmann, WoZ vom 20.11.97, S. 7
  • Die GSoA verliert ihr Aushängeschild, Bieler Tagblatt vom 20.11.97
  • Le GSsA va lancer une nouvelle initiative pour la suppression de l’armée, Tribune de Genève vom 20.11.97
  • La nouvelle initiative contre l’armée sera lancée sans Andreas Gross, Tribune de Genève vom 20.11.97
  • Die Armee lädt wieder zur Show. Armeetag 1998 und Abschaffungs-Initiativen, TagesAnzeiger vom 21.11.97, S. 1ff
  • Sie streiten um den Geist der GSoA. TagesAnzeiger vom 21.11.97, S. 9
  • Andi Gross wird am Sonntag Kinder hüten. Der Bund vom 21.11.97
  • Andi Gross sagt der GSoA “Adieu”, Berner Tagwacht vom 22.11.97
  • “Die Armee gehört zum Alteisen”, TagesAnzeiger vom 24.11.97
  • Zweiter Anlauf zur Armeeabschaffung, NZZ vom 24.11.97
  • GSoA will statt Armee einen Friedensdienst, BernerZeitung vom 24.11.97
  • GSoA gibt nicht auf, Der Bund vom 24.11.97
  • I pacifisti vogliono riprovare, Corriere del Ticino vom 24.11.97
  • Le mouvement pacifiste se déchire en lançant deux nouvelles initiatives, Le Nouveau Quotidien vom 24.11.97

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