Militärgesetzrevision: Gerangel im VBS

Koalitionskriegsführung
Ein Geheimdienstchef hat das strategische Grundlagenpapier für die Armee XXI verfasst. Es fordert «die Angleichung der Strukturen und Prozesse an die Nato».

von Hans Hartmann

Ein Papier mit dem Titel «Grundlagen der militärstrategischen Doktrin» sorgt im VBS für Stress. Die sogenannte «Konzeptstudie 1» belegt: Die Schweizer Armee sucht auf allen Ebenen Anschluss an die Nato. Sie dementiert damit die Argumentation der Militärgesetz-BefürworterInnen, es gehe lediglich um die «Bewaffnung zum Selbstschutz» oder gar um die Stärkung der Uno.

Diese Konzeptstudie ist das zentrale Planungspapier der neuen Armee XXI. Sie bildet die Basis für alle Planungsarbeiten im Rahmen der Armeemodernisierung, insbesondere für sieben weitere Konzeptstudien (Führung, Raumsicherung und Verteidigung, Friedensunterstützende Operationen, Existenzsicherung, Ausbildung, Transformation, Logistik). Das Dokument gilt als «amtsintern». Kopien gingen lediglich an die Projektleiter der Armee XXI und die VBS-Geschäftleitungsmitglieder. Doch seit Anfang April kursiert eine auf Februar 2000 datierte Version des «Geheimdokuments» bei den GegnerInnen des neuen Militärgesetzes. Die Aargauer Zeitung brachte brisante Zitate, die Basler Zeitung und die neue Mittelland-Zeitung zogen nach.

VBS-Informationschef Oswald Sigg ärgerte sich öffentlich über den Kampagnen-Gau: Man habe es verpasst, das Dokument rechtzeitig aus eigenem Antrieb zu publizieren. Um aus der Defensive herauszukommen, wollte Sigg wenigstens die definitive Endversion vom Juni 2000 zugänglich machen und erhielt dazu von Departementschef Samuel Schmid noch im April grünes Licht. Die Verantwortlichen im Generalstab liessen sich aber viel Zeit. Noch Mitte Mai musste Sigg die WoZ auf später vertrösten: «Sobald wir die Diskette vom Generalstab erhalten, stellen wir das Dokument ins Netz.» Die lange Leitung im Generalstab erstaunt nicht, denn das geht aus einem von der «Untergruppe Logistik» veröffentlichten Projektdiagramm hervor – der verantwortliche Autor der Konzeptstudie ist Hans Wegmüller, seit dem 1. Januar dieses Jahres Chef des «Strategischen Nachrichtendienstes». Oberst Wegmüller ist ein Geheimdienstler alter Schule, bereits seit 1978 im Geschäft und ein Mann von Ex-Geheimdienstchef Peter Regli. 1996 wechselte er vorübergehend in den Generalstab, wo er später als «Chef Doktrin» die Leitung der Konzeptstudie 1 übernahm.

Seit 15. Mai ist nun die 92 Seiten starke, Endversion der Studie auf der VBS-Website abrufbar. «Glaubwürdigkeit durch Kooperationsfähigkeit« lautet das Leitmotiv der neuen Doktrin. In diesem Sinne sei «die Armee als Gesamtsystem auf Interoperabilität auszurichten», heisst es. Alle Armeeaufträge werden in Zukunft im Verbund mit Partnerarmeen angegangen. Geplant werden zum Beispiel «wenn und wo immer angezeigt, grenzüberschreitende Einsätze in Kooperation mit Partnern», dann «demonstrative, je nach Entscheid der Landesregierung in Kooperation mit Partnern durchzuführende Aufmärsche» oder die «Option der kooperativen Verteidigung» auch im «operativen Vorfeld», also im «Raum Karlsruhe-Innsbruck-Parma-Valence-Nevers-Troyes».

Wegmüller und seine Planungsgehilfen haben den ganzen Katalog möglicher Einsatzszenarien aus der aktuellen Nato-Doktrin übernommen. So soll die interoperable Schweizer Armee auch «offensive Information Operations» durchführen können und damit «Battlespace Dominance» erhalten, also die virtuelle Kontrolle über das Gefechtsfeld. Besondere «Sonderoperationskräfte» sollen mit «Special Operations» den «Schutz unserer Interessen im Ausland» sichern, und zwar «im globalen Aktionsfeld» und «in allen Lagen». Und schliesslich soll sich die Armee in einen europäischen Raketenabwehr-Verbund «einbetten», in dem «die Nato eine zentrale Rolle spielen wird». Überhaupt die Nato: Sie ist der Dreh- und Angelpunkt der neuen Armee XXI. Sie bestimmt die «Begriffslogik». Sie «zertifiziert» Truppenteile, die bei Kriseninterventionen mitmachen wollen, als «Fit for (the) Mission». Und die mit ihr vereinbarten Interopeabilitätsziele «gelten als Vorgaben für die mittelfristigen Interoperabilitätsanstrengungen der Armee». Kurz: «Es geht um die Angleichung der Strukturen und Prozesse an die Nato», denn «im euroatlantischen Sicherheitsraum kann Interoperabilität nur auf die Nato ausgerichtet sein».

Und was hat das alles mit der Abstimmung über die bewaffneten Auslandeinsätze zu tun? Auch da spricht die Konzeptstudie Klartext. Bereits in der Einleitung heisst es: «Eine der weitaus besten, effizientesten und militärisch einträglichsten Möglichkeiten, Kooperationsfähigkeit zu schaffen, ist die aktive Teilnahme an internationalen friedensunterstützenden Operationen». Auslandeinsätze «auf gleichberechtigtem Niveau» dienten nicht nur «der ausgreifenden schweizerischen Interessenwahrung» und der «Wahrnehmung der Schweiz als verlässlicher und solidarischer Partner». Sie seien auch Voraussetzung für die «Einbindung der Armee XXI in den sicherheits- und verteidigungspolitsichen Informationsaustausch in Europa» und für die Vertiefung der «Ausbildungszusammenarbeit im bilateralen und multilateralen Rahmen».

Die Teilnahme an friedensunterstützenden Nato-Einsätzen schafft «Kooperationsfähigkeit», die es als «Vorbereitung zur Koalitionskriegsführung im operativen Vorfeld» braucht. Noch Fragen?

Die im Text erwähnte Konzeptstudie wurde auf der offiziellen Webseite des Parlaments veröffentlicht:

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